Spaziergang mit ISB-Stipendiaten

Die Villenkolonie Grunewald:

Spazierend haben wir uns erinnert – der Schönen und Reichen, der Verfemten und der Widerstandskämpfer, indem wir ihre Villen und Landhäuser besuchten:

Die Bewohner

Die Gesellschaft der Villenkolonie im damals „neuen Westen“ des ausgehenden 19. und der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts tendierte zu einer „geschlossenen Gesellschaft”, mit entsprechenden Soireen, Teegesellschaften und Festen.
Die Bewohner dieser vornehmen Gemeinde entstammten ausschließlich besten Kreisen, so die Inhaber der Druckimperien Ullstein und Fischer, Bankiers wie Carl Fürstenberg oder Erich Goldschmidt, die AEG-Familie Rathenau sowie die wichtigsten Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft und Kultur, so Lion Feuchtwanger, Vicki Baum, Friedrich Wilhelm Murnau, Maximilian Harden …

Die Bankiers Franz und Robert Mendelssohn, Nachkommen Moses Mendelssohns, unterhielten Villen am Herthasee, die zum Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens wurden; besonders die Musikabende bei Franz von Mendelssohn hatten einen legendären Ruf. Hier konnte man auch Albert Einstein Geige spielen hören! Am Privatunterricht im Mendelssohn-Palais nahmen auch die Kinder benachbarter Familien, wie die von Samuel Fischer und Werner Sombart teil. Der Bankier Felix Koenigs, erster Besitzer eines Grundstücks an der nach ihm benannten Grunewalder Allee, förderte viele Künstler der „Sezession” und ihre Ausstellungsprojekte.
Walter Leistikow und Lovis Corinth waren befreundet mit Gerhart Hauptmann, der einige Jahre in der Trabener Straße wohnte und dessen Werke von Samuel Fischer verlegt wurden. Dessen Kinder spielten mit denen Engelbert Humperdincks; dieser schrieb Schauspielmusik für Max Reinhardts Inszenierungen; Förderer und Geldgeber von Max Reinhardt war der Bankier Fritz Andreae, dem Schwager von Walther Rathenau…

Fast 40% der Grunewald-Bewohner waren jüdischer Herkunft. Spätestens als Hitler 1933 Kanzler wurde, war die ernstliche Gefahr für Juden durch den Nationalsozialismus Realität geworden. Wichtige NS-Einrichtungen und Nazis bezogen den Grunewald: Himmler wohnte in der Hagenstraße 22, das Mendelssohn-Palais in der Bis-marckallee wurde „Reichsgästevilla”, in der ehemaligen Wertheim-Villa in der Richard-Strauß-Straße/Ecke Furtwängler Straße wurde eine Gestapo-Dienststelle untergebracht, in die Villa Maximilian von Hardens zog die „Deutsche Arbeitsfront“. Viele Alteingesessene versuchten, dies zu ignorieren.

Viele jüdische Bewohner konnten emigrieren; andere wurden umgebracht oder in den Selbstmord getrieben. Viele nichtjüdische Bewohner zogen sich in die innere Emigration zurück, doch einige wurden zu Widerstandskämpfern. Einige Mitglieder des bürgerlichen und militärischen Widerstands waren durch familiäre oder berufliche Beziehungen verbunden, so dass diese Zirkel relativ geschützt waren vor Gestapo-Spitzeln. Dietrich und Klaus Bonhoeffer wohnten in der Wangenheimstraße 14 (Eine Gedenktafel am Haus weist darauf hin). Die Familie des Physikers Max Planck lebte ganz in der Nähe in der Wangenheimstraße 21. Die Bonhoeffers waren mit den Geschwistern Dohnanyi befreundet; Hans von Dohnanyi besuchte das Grunewald-Gymnasium und heiratete Christine Bonhoeffer. Klaus Bonhoeffer war eng mit Justus Delbrück befreundet und heiratete dessen Schwester Emmi. Die Delbrücks lebten in der Kunz-Buntschuh-Straße 4. In der Paulsborner Straße 50 lebte Bernhard Klamroth, der engste Mitarbeiter von Berthold Graf Schenk von Stauffenberg (dem Bruder von Claus Graf Schenk von Stauffenberg), der ebenfalls am Attentat vom 20. Juli 44 beteiligt war.
Zu den älteren Widerstandskämpfern gehörten der Diplomat Otto Kiep und General Georg Thomas, die beide in der Taubertstraße wohnten sowie Generalfeldmarschall Eugen von Witzleben (Lassenstraße 19/21). General Franz Halder wohnte in der Kronberger Straße 12, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch in der Herthastraße 11 und Admiral Wilhelm Canaris in der Douglasstraße 7-9.

Otto Kiep wurde bereits im Januar 1943 verhaftet und nach dem misslungenen Attentat vom Juli 44 im August 44 in Plötzensee hingerichtet, ebenso wie Eugen von Witzleben. Wilhelm Canaris und Dietrich Bonhoeffer wurden am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet, Hans von Dohnanyi am 8. April im Konzentrationslager Sachsenhausen. Justus Delbrück überlebte das Kriegsende, wurde jedoch einige Tage nach seiner Befreiung im Mai 1945 von der sowjetischen Geheimpolizei abgeholt und starb kurz darauf in russischer Gefangenschaft.

Die Architektur

Die Grundstückspreise waren von Beginn an extrem hoch (auch weil nur sehr große Grundstücke erworben werden konnten; die Mindestgröße einer Parzelle betrug 1.300 qm), die höchstens dreistöckigen Gebäude waren rundum mit Schmuckfassaden zu versehen, die den „ländlichen Charakter” des Grunewalds zu unterstreichen hatten. Gewerbliche Nutzung war nicht erlaubt. Neben der Bindung an den Bebauungsplan gab die Kurfürstendammgesellschaft die Auflagen für diese landhausmäßige Bebauung vor.

Durch palastartige Villenanlagen rund um die Seen hielt auch die künstlerische Landschaftsplanung Einzug in diesen Bereich. Landschaftsgärten sind durch die nachträglichen Parzellierungen kaum noch erhalten oder unzugänglich.

Vor allem auf den großen Grundstücken an den Seeufern, aber auch auf den Eckgrundstücken und zusammengefassten, nebeneinander liegenden Parzellen wurden aufwendig gestaltete, repräsentative Großvillen mit mehreren hundert Quadratmetern Grundfläche errichtet. Die Glanzzeit der Grunewald-Villa waren die 90er Jahre: Sie trat hoch aus dem Boden heraus, hatte ein bewohntes Untergeschoss; daraus folgt, dass das Erdgeschoss etwa mannshoch über dem Boden erhoben war. Sie richtet ihre Fassade und die dahinter liegenden Hauptwohnräume zur Straße hin. Gleiches gilt für den Typ der Mietvilla, die von mehreren Haushalten bewohnt wurde.

Ein dritter Haustyp des Grunewalds ist das Landhaus: Es richtet seine Wohnseite zum Garten und zur Sonne, ist „breiter” gelagert, womit die Verbundenheit zur gärtnerischen Umgebung betont wird. Innen löst Behaglichkeit und Bequemlichkeit die Repräsentation der Stadtwohnung bzw. der Villa ab.

Viele Motive dieser Landvillen sind Gebirgsgegenden entlehnt (Schwarzwald, Schweiz). Ihre Elemente sind: Fachwerk, Giebel, Erker, Dachausbauten. Innen waren die Häuser mit Stuck-, Holz- und Malereidekor ausgestattet. Erneuerer der Landhausbewegung war Hermann Muthesius, der sich von 1896 – 1903 in Eng-land aufhielt und von dort die Reformbewegung im Landhausbau übernahm. Die bekannteren Grunewald-Architekten sind Alfred Messel, Otto March, Walter Muthesius, Ernst Ihne, Adolf Wollenberg oder Breslauer & Salinger. Bald nach der Jahrhundertwende wendete man sich von Historismus und Eklektizismus ab und belebte klassizistische Tendenzen (verbunden oft mit einer Monumentalisierung der Baugestalt). Hier trat dezenteres, antikisches Dekor in den Vordergrund. Es folgte die sogenannte Andere Moderne – ein gemäßigter Übergang zur Avantgarde der zwanziger Jahre.

Über P. Fritsche Beitragsschreiberin

Stadtspaziergänge in Berlin
Dieser Beitrag wurde unter Grunewald abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.