Friedenau: Eine idyllische Landgemeinde in Schöneberg

Architektur der – vorigen – Jahrhundertwende
Villen der Rohbauern und Putzbauern
Jugendstilmiethäuser der Bourgeoisie

und

Erinnerung an die Bewohner

Künstler: Günter Grass, Karl Schmidt-Rottluff, Max Herrmann-Neiße, Hanna Höch …

Widerstandskämpfer der Roten Kapelle

Die Villenkolonie Friedenau wurde auf 550 Morgen Land des Ritterguts Deutsch-Wilmersdorf im Jahr  1874 gegründet. Die kleinen Villen der ersten Bewohner wurden in Ziegelrohbauweise erstellt; ihre Besitzer wurden daher im Volksmund Rohbauern genannt. Diejenigen, die ihre Villen verputzen ließen, hießen entsprechend Putzbauern. Beide Haustypen bestanden aus Keller-, Erd- und (meistens ausgebautem) Dachgeschoss und waren entsprechend bescheiden. Die Dekorationen mit Putzblenden, Formsteinen, hölzernem Sprengwerk und Klinkerbändern waren und sind allerdings originell.

Ab 1887 entstanden – wegen der ständig steigenden Einwohnerzahl – 5geschossige Miethäuser –  meistens reich dekoriert mit Elementen des Jugendstils, Klassizismus oder Expressionismus. Neuerungen der Großstadtarchitektur wie die Einküchenhäuser oder die Lichtgräben wurden hier erstmals gebaut.

Viele Villen, Bürgerhäuser und Gärten stehen unter Denkmalschutz und bieten auch heute gehobene Wohnkultur.

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Tag des offenen Denkmals 2010

Das Motto war diesmal:  Bewegung – Reisen, Handel und Verkehr

Villenkolonie Grunewald:

Die Villen Pannwitz, Konschewski, Feuchtwanger, Rathenau und Kerr zeugen von ihren Bewohnern und Erbauern und zu welchen Reisen sie von den Nazis gezwungen wurden.

Künstler und Widerstandskämpfer in Friedenau:

Die Künstler Karl Schmitt-Rottluff, Max Herrmann-Neiße, die Widerstandskämpfer der Roten Kapelle und viele bürgerliche jüdische Bewohner mussten sich auf erzwungene Reisen begeben, weil man ihre Kunst und ihre Wissenschaft nicht wollte.

 

Trotz Begrenzung der Teilnehmerzahl auf je 15 und „Anmeldepflicht“ waren wir bei jedem der Spaziergänge ca. 45 Personen – was auch funktionierte, denn alle Gäste waren interessiert und rücksichtsvoll.

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Grunewalds Architekten

1913 Breslauer & Salinger für Fritz Andreae

1913 Breslauer & Salinger für Fritz Andreae

Ebenso wie viele Bauherren in der Villenkolonie Grunewald Juden waren, waren es auch die Architekten:

Das Architekturbüro Breslauer & Salinger baute für den Verleger Louis Ullstein ein geräumiges Landhaus oder für den Bankier Fritz Andreae eine Villa im Stil der italienischen Renaissance. Paul Salinger starb am 26.11.42 in Theresienstadt. Alfred Breslauer konnte in die Schweiz flüchten.

Oskar Kaufmann 1922 für Prof. Max Epstein

Oskar Kaufmann 1922 für Prof. Max Epstein

Oskar Kaufmann,der Theater-Architekt, der das Hebbeltheater und die Volksbühne entwarf, baute im Grunewald schlossartige Anwesen wie das Haus Konschewski und das elegante Landhaus für Professor Max Epstein. Oskar Kaufmann floh mit seiner Frau nach Palästina und errichtete den Theaterbau Habima in Tel Aviv. Er ging nach Budapest, wo er ebenfalls verfolgt wurde und starb dort im September 1956.

Heinz Reifenberg 1927 für Walter Kristeller

Heinz Reifenberg 1927 für Walter Kristeller

Heinz Reifenberg baute für den Konfektionär Walter Kristeller eine der modernsten Landvillen. Heinz Reifenberg flüchtete mit seiner Frau, der Berliner Schriftstellerin Gabriele Tergit und seinem Sohn über Prag nach Palästina und lebte in Tel Aviv. U.a. konnte er ein Gebäude der Jerusalemer Universität bauen. 1938 emigrierte er nach London und starb dort 1968.

Haus Harteneck von Adolf Wollenberg, 1911

Haus Harteneck von Adolf Wollenberg, 1911

Adolf Wollenberg schuf für Bankiers und Industrielle die repräsentativsten Paläste im Stil des Klassizismus und der Renaissance. Der Haus-, Garten- und Innenarchitekt Adolf Wollenberg konnte sich nach England retten, wo er 1951 starb.

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Grunewalds Architektur

Die Grundstückspreise waren von Beginn an extrem hoch (auch weil nur sehr große Grundstücke erworben werden konnten; die Mindestgröße einer Parzelle betrug 1.300 qm), die höchstens dreistöckigen Gebäude waren rundum mit Schmuckfassaden zu versehen, die den „ländlichen Charakter” des Grunewalds zu unterstreichen hatten. Gewerbliche Nutzung war nicht erlaubt. Neben der Bindung an den Bebauungsplan gab die Kurfürstendammgesellschaft die Auflagen für diese landhausmäßige Bebauung vor.

Durch palastartige Villenanlagen rund um die Seen hielt auch die künstlerische Landschaftsplanung Einzug in diesen Bereich.

Vor allem auf den großen Grundstücken an den Seeufern, aber auch auf den Eckgrundstücken und zusammengefassten, nebeneinanderliegenden Parzellen wurden aufwendig gestaltete, repräsentative Großvillen mit mehreren hundert Quadratmetern Grundfläche errichtet.

Die Glanzzeit der Grunewald-Villa waren die 90er Jahre: Sie trat hoch aus dem Boden heraus, hatte ein bewohntes Untergeschoss; daraus folgt, dass das Erdgeschoss etwa mannshoch über dem Boden erhoben war. Sie richtet ihre Fassade und die dahinter liegenden Hauptwohnräume zur Straße hin. Gleiches gilt für den Typ der Mietvilla, die von mehreren Haushalten bewohnt wurde.

Ein dritter Haustyp des Grunewalds ist das Landhaus: Es richtet seine Wohnseite zum Garten und zur Sonne, ist „breiter” gelagert, womit die Verbundenheit zur gärtnerischen Umgebung betont wird. Innen löst Behaglichkeit und Bequemlichkeit die Repräsentation der Stadtwohnung bzw. der Villa ab.

Viele Motive dieser Landvillen sind Gebirgsgegenden entlehnt (Schwarzwald, Schweiz). Ihre Elemente sind: Fachwerk, Giebel, Erker, Dachausbauten. Innen waren die Häuser mit Stuck-, Holz- und Malereidekor ausgestattet. Erneuerer der Landhausbewegung war Hermann Muthesius, der sich von 1896 – 1903 in England aufhielt und von dort die Reformbewegung im Landhausbau übernahm.
Bald nach der Jahrhundertwende wendete man sich von Historismus und Eklektizismus ab und belebte klassizistische Tendenzen (verbunden oft mit einer Monumentalisierung der Baugestalt). Hier trat dezenteres, antikisches Dekor in den Vordergrund. Es folgte die sogenannte Andere Moderne – ein gemäßigter Übergang zur Avantgarde der zwanziger Jahre.

Das Spektrum der Grunewald-Bauten reicht von deutscher und italienischer Renaissance bis zur konservativen Moderne.

Eine vollständige Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Grunewald findet sich u.a. bei Wikipedia.

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Grunewalds Bewohner

Die Villenkolonie im damals „neuen Westen“ tendierte zu einer „geschlossenen Gesellschaft”, mit entsprechenden Soireen, Teegesellschaften und Festen. Die Bewohner dieser vornehmen Villenkolonie entstammten ausschließlich besten Kreisen, so die Inhaber der Druckimperien Ullstein und Fischer, Bankiers wie Carl Fürstenberg oder Erich Goldschmidt, die AEG-Familie Rathenau sowie die wichtigsten Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft und Kultur (Lion Feuchtwanger, Vicki Baum, Friedrich Wilhelm Murnau, Maximilian Harden, Max Reinhardt …).

Ein weiterer Vorteil für die Bewohner der Kolonie war deren Überschaubarkeit: Auf ein paar Quadratkilometern siedelte sich an, wer in der Metropole Rang und Namen hatte.
Die Bankiers Franz und Robert Mendelssohn, in sechster Generation Bankiers und Nachkommen Moses Mendelssohns, unterhielten Villen am Herthasee, die zum Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens wurden; besonders die Musikabende bei Franz von Mendelssohn hatten einen legendären Ruf. Hier konnte man auch Albert Einstein Geige spielen hören! Am Privatunterricht im Mendelssohn-Palais nahmen auch die Kinder benachbarter Familien, wie die von Samuel Fischer und Werner Sombart teil.
Der Bankier Felix Koenigs, erster Besitzer eines Grundstücks an der nach ihm benannten Grunewalder Koenigsallee, förderte viele Künstler der „Sezession” und ihre Ausstellungsprojekte.

1898 wurde diese Künstlergemeinschaft von Max Liebermann und Walter Leistikow gegründet, um sich Ausstellungsmöglichkeiten zu verschaffen, die ihnen der akademisch-etablierte Kunstbetrieb verwehrte. Wenige Jahre später war deren „Rinnsteinkunst”, wie sie von Kaiser Wilhelm II genannt wurde, etabliert, bis sie von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst” bezeichnet wurde.
Walter Leistikow und Lovis Corinth waren befreundet mit Gerhart Hauptmann, der einige Jahre in der Trabener Straße wohnte und dessen Werke von Samuel Fischer verlegt wurden. Dessen Kinder spielten mit denen Engelbert Humperdincks; dieser schrieb Schauspielmusik für Max Reinhardts Inszenierungen; Förderer und Geldgeber von Max Reinhardt war der Bankier Fritz Andreae, dem Schwager von Walther Rathenau…

Spätestens als Hitler 1933 Kanzler wurde, war die ernstliche Gefahr für Juden durch den Nationalsozialismus Realität geworden. Wichtige NS-Einrichtungen und Nazis bezogen den Grunewald: Himmler wohnte in der Hagenstraße 22, das Mendelssohn-Palais in der Bismarckallee wurde „Reichsgästevilla”, in der ehemaligen Wertheim-Villa in der Richard-Strauß-Straße/Ecke Furtwängler Straße wurde eine Gestapo-Dienststelle untergebracht, in die Villa Maximilian von Hardens zog die „Deutsche Arbeitsfront“.

Viele jüdische Bewohner konnten emigrieren; andere wurden umgebracht oder in den Selbstmord getrieben. Viele nichtjüdische Bewohner zogen sich in die innere Emigration zurück, doch einige wurden zu Widerstandskämpfern. Einige Mitglieder des bürgerlichen und militärischen Widerstands waren durch familiäre oder berufliche Beziehungen verbunden, so dass diese Zirkel relativ geschützt waren vor Gestapo-Spitzeln. Dietrich und Klaus Bonhoeffer wohnten in der Wangenheimstraße 14 (Eine Gedenktafel am Haus weist darauf hin). Die Familie des Physikers Max Planck lebte ganz in der Nähe in der Wangenheimstraße 21. Die Bonhoeffers waren mit den Geschwistern Dohnanyi befreundet; Hans von Dohnanyi besuchte das Grunewald-Gymnasium und heiratete Christine Bonhoeffer. Klaus Bonhoeffer war eng mit Justus Delbrück befreundet und heiratete dessen Schwester Emmi. Die Delbrücks lebten in der Kunz-Buntschuh-Straße 4.

Zu den älteren Widerstandskämpfern gehörten der Diplomat Otto Kiep und General Georg Thomas, die beide in der Taubertstraße wohnten sowie Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (Lassenstraße 19/21). General Franz Halder wohnte in der Kronberger Straße 12, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch in der Herthastraße 11 und Admiral Wilhelm Canaris in der Douglasstraße 7-9.
Otto Kiep wurde bereits im Januar 1943 verhaftet und nach dem misslungenen Attentat vom Juli 44 im August 44 in Plötzensee hingerichtet, ebenso wie Eugen von Witzleben. Wilhelm Canaris und Dietrich Bonhoeffer wurden am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet, Hans von Dohnanyi am 8. April im Konzentrationslager Sachsenhausen. Justus Delbrück überlebte das Kriegsende, wurde jedoch einige Tage nach seiner Befreiung im Mai 1945 von der sowjetischen Geheimpolizei abgeholt und starb kurz darauf in russischer Gefangenschaft.

Weitere prominente Bewohner: siehe entsprechender Abschnitt des Wikipedia-Artikels zu Berlin-Grunewald

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Stolperstein-Verlegung in der Friedenauer Stierstraße

Am 19. August 2010 wurden in der Friedenauer Stierstraße 4 drei Stolpersteine verlegt:

Einladung Stolpersteinverlegung StierstrasseLouise Kerz, die Witwe von Leo Kerz, für dessen Familie die Stolpersteine verlegt wurden, reiste mit ihren beiden Söhnen aus New York zur Übergabe dieser Stolpersteine an die Öffentlichkeit an. Louise Kerz beschreibt mit folgendem Text, wie sie die Verlegung der Stolpersteine erlebt hat:

Während die letzten Töne der Dudelsäcke des 11. September am Ground Zero verklingen, schreibe ich über ein anderes Gedenken – tausende von Meilen und viele Jahre entfernt. Eine Erinnerung an eine Tragödie, die wir aufrecht erhalten sollen und die an jene gemahnt, die uns genommen wurden und an die Vorsätze, die wir haben, wenn wir zurückblicken.

Ich hatte nach einem Weg gesucht, dreier tragischer Opfer des Holocaust zu gedenken. Dann erreichte mich eine unglaubliche Nachricht aus Deutsch-land: Ob ich mit der Kerz-Familie verwandt sei.
Mein Herz bebte, mein Wunsch wurde von einer jungen Frau beantwortet, Petra Fritsche, deren Stolperstein-Gruppe mit umfangreichen Untersuchun-gen die Geschichte der Angehörigen einer verlorenen Generation zum Leben erweckt.

Während der nächsten Monate erfuhr ich einiges über diese Gruppe und den Künstler Gunter Demnig. Ihr Anliegen ist es, die deutsche Bevölkerung über ihre jüdischen Nachbarn und die Mitglieder des Widerstands gegen die Nazis, die in den Konzentrationslagern umkamen, zu informieren.

Im August stand ich vor einem Gebäude, um einer Familie Lebewohl zu sagen, die ich nie kennen gelernt habe. Meine Gefühle überwältigten mich. Dies sind meine Gedanken zu diesem Tag:

HERE LIVED ……. HIER WOHNTE
(Einweihung von drei Stolpersteinen für die Kerz-Familie in der Stierstraße 4, Berlin-Friedenau, Deutschland)

Es war ein gutbürgerliches Stadtviertel mit schön renovierten Wohnhäusern an einer baumbestandenen Straße mit kleinen Vorgärten… vergleichbar der Upper Eastside von Manhattan. Ich war von New York mit meinen beiden Söhnen, Jonathan und Antony gekommen, um an einer besonderen Zeremonie teilzunehmen zu Ehren der Eltern und der Schwester meines ersten Ehemannes, Leo Kerz, der ein bekannter Bühnenbildner am Broadway war. Er war der Nazi-Pest entkommen und nach Südafrika geflohen, aber seine Familie war in Sobibor, einem KZ in Polen, umgekommen – zusammen mit tausenden anderer Juden.

Petra Fritsche, Mitglied einer Bürgerinitiative in Deutschland, der Initiativgruppe Stolpersteine, war mit mir in Kontakt getreten. Wir tauschten e-mails über die Geschichte der Kerz-Familie aus. Schließlich wurde ein Datum festgesetzt, an dem die Einweihung der drei Stolpersteine, die vor dem Haus gesetzt werden sollten, in dem die Familie in Deutschland zuletzt gewohnt hatte, stattfinden sollte. Der engagierte Künstler Gunter Demnig schuf Messingplatten, die in den Bürgersteig eingelassen werden, welche die Namen verfolgter Opfer der Nazizeit dokumentieren. Es sind inzwischen etwa 24.000 Steine, die er seit 1993 in ganz Deutschland gelegt hat.

Angetan mit Arbeitskleidung und Knieschützern, verlegte der Künstler eigenhändig mit großer Sorgfalt drei glänzende Platten in den Bürgersteig. Sie erinnern an die schon lange vergessenen Nachbarn in der Stierstraße. Diese beständigen Erinnerungsstücke tragen folgende Information:

Hier wohnte
Charlotte Kerz
Jg. 1914
Flucht 1934 Holland
Deportiert 25.05.1943
Sobibor
Ermordet 28.5.1943

Hier wohnte
Nechuma Kerz
Geb. Spira
Jg. 1891
Flucht 1934 Holland
Deportiert 25.05.1943
Sobibor
Ermordet 28.5.1943

Hier wohnte
Nathan Kerz
Jg. 1914
Flucht 1934 Holland
Doportiert 25.05.1943
Sobibor
Ermordet 28.5.1943

Der Zeremonie wohnten über 50 Menschen bei: Mitglieder der Stolpersteingruppe, Nachbarn allen Alters, eine Abgeordnete der SPD und der berühmte deutsche Autor Rolf Hochhuth.

Leo Kerz stattete 1963 die in Berlin stattfindende Welturaufführung des Hochhuth-Stückes Der Stellvertreter aus. Das Stück hinterfragt das Schweigen des Papstes Pius während des Holocaust und war ein herausragendes Beispiel für die Arbeit des deutschen Regisseurs Erwin Piscator und seines realistischen Theaters. Nur wenige Stücke brachten dieses Thema auf den Punkt, und es hatte eine durchschlagende Wirkung auf das Welttheater. Ich, Leos Frau, war eine junge Zeugin der Anhörungen, der juristischen Streitigkeiten und der Eröffnungsvorstellung. Trotz der anhaltenden Proteste und der Polizeiabsperrungen, die außerhalb des Theaters aufgestellt worden waren, hat Bürgermeister Willy Brandt gegenüber Piscator versichert, dass das kontroverse Stück aufgeführt würde.

Es war eine unerwartete aber passende Überraschung, dass der achtzigjährige Autor Hochhuth unter den Leuten auf der Straße war, als die Stolpersteine verlegt wurden.

Die Feierstunde in der Stierstraße begann mit einem Brecht/Eissler-Song, gespielt auf einer einzelnen Trompete – es folgte eine Begrüßung durch Petra Fritsche. Dann sprach Sigrun Marks, eine Sprecherin der Gruppe, über den Kölner Künstler Gunter Demnig und darüber, wie die Stolpersteine selbst ein sichtbarer Aufruf an die Verantwortung der Deutschen sind, dass NIE WIEDER solche barbarischen Verbrechen begangen werden dürfen…

Dann wurde die Geschichte der Familie Kerz geschildert. Nathan, ein erfolgreicher Modedesigner und Produzent mit über 30 Mitarbeitern, führte eine große Firma. Die Schwester Charlotte, deren Traum es war, Pianistin zu werden, wurde durch die Nazi-Gesetze daran gehindert. Die Familie floh nach Holland, wo Nathan starb. Nechuma und Charlotte starben einige Monate später im Konzentrationslager Sobibor.

Leo war der einzige Überlebende der Familie und floh nach Südafrika. Dort heiratete er zunächst die Olympiateilnehmerin Martel Jacob. Später hatte er mit seiner zweiten Frau Rosa Resi Kerz die beiden Kinder Paul und Leonore. Er arbeitete am Johannesburger Theater bis 1941, als die Familie nach New York auswandern konnte. Sein Berliner Mentor Erwin Piscator und The New School öffneten ihm die Tür nach Amerika. Schließlich arbeitete er als Ausstatter am Broadway, sowie für Oper und Fernsehen.

Leo und ich trafen uns 1961, als er das legendäre Stück Die Nashörner am Broadway produzierte. Ich wurde seine Assistentin; später heirateten wir und bekamen zwei Söhne: Jonathan und Antony. Als Leo 1976 starb, schrieb John Russell, der Kritiker der New York Times in seinem Nachruf „…er war eines der letzten Bindeglieder der goldenen Zeit des Deutschen Theaters, die man mit Reinhardt und Piscator verbindet.“

Es war schwierig für mich, meine Anmerkungen zu dem Ereignis auszudrücken. Ich las die Briefe der Familie Kerz aus Holland, die ihr quälendes Warten auf die Visa, um endlich das Land verlassen zu können, beschreiben. Sie warteten vergebens auf Dokumente, die niemals ankamen; Es war wie ein Todesurteil. Leo lebte in Seelenqual für den Rest seines Lebens. Ja, er hatte eine erfolgreiche Karriere als Künstler, aber er war ein niedergeschlagener Mann, der vom Schicksal seiner Familie und seiner Unfähigkeit zu helfen, verfolgt wurde.

Heute ehren wir drei Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung zusammen mit Millionen anderer Bürger ermordet wurden. Die Seelen dieser unschuldigen Opfer werden mit diesen ständigen Zeichen, die auf den Schrecken des Krieges hinweisen, weiter leben, so wie auch die Kerz-Familie. Als Amerikanerin deutsch-österreicherischer Herkunft und Christin bin ich von der Arbeit des Künstlers und seiner Helfer tief berührt. Die Worte Nie wieder werden durch diese Arbeit in den Fokus der jüngeren deutschen Generation gerückt.

Die Gedenkstunde in der Stierstraße 4 endet – und Tränen laufen uns über das Gesicht.

New York, 16. September 2010

Aus dem Englischen von Petra T. Fritsche, Okt. 2010

Gunter Demnig

Gunter Demnig

Gunter Demnig und Louise Kerz

Gunter Demnig und Louise Kerz

Rolf Hochhuth und Louise Kerz

Rolf Hochhuth und Louise Kerz

Petra T. Fritsche

Petra T. Fritsche

Louise Kerz

Louise Kerz

Louise Kerz mit den Söhnen Jonathan und Antony

Louise Kerz mit den Söhnen Jonathan und Antony

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Ruben und Minna Riesenburger – Wir waren Nachbarn

Abbildung des Veranstaltungsplakats zur Dauerausstellung im Rathaus SchönebergIn der Dauerausstellung „Wir waren Nachbarn“ im Rathaus Schöneberg liegt das von mir gestaltete Album über die Familie Riesenburger. Es beginnt mit einem Zitat Robert G. Cohns, des Enkels der deportierten und ermordeten Ruben und Minna Riesenburger:

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